18 Jahre Kampf für die Yanomami-Indianer

 

Blauer Nil

„Mein Land ist das letzte, in welches ihr eindringt.
Es ist die letzte Invasion.
Zuerst leidet der Indianer, dann wird auch der Weiße leiden.
Und dann wird der Krieg auch über euch kommen.“

Davi Kopenawa Yanomami, politisch aktivster Häuptling

 

1980
Die Yanomami-Indianer in Brasilien gelten als das letzte große freilebende Volk im brasilianischen Regenwald. 20.000 Menschen in einem Gebiet von der Größe der Schweiz. Angeblich werden sie durch das Militär geschützt. Doch brasilianische Menschenrechtler behaupten das Gegenteil. „Sie werden durch eine Armee von Goldsuchern ausgerottet.“ Das macht mich neugierig. Ich will mir einen eigenen Eindruck verschaffen. Ich ahne nicht, dass die Begegnung mein Leben verändern wird.

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1. Der Deutschlandmarsch
Deutschlandmarsch

Wie muss ich mich verhalten, um an den Militärs vorbeizukommen? Antwort: ich muss beweglicher sein als das Militär. Ich muss quasi gepäcklos viele Wochen im Urwald bestehen können. Dafür muss ich nicht unbedingt nach Brasilien reisen. Das kann ich auch in Deutschland trainieren. Ich brauche nur die Zivilisation zu ignorieren.  Stehlen, Mundraub, Betteln scheiden also aus. Das kannich im Urwald auch nicht. Besonderes Erschwernis: hier es ist kalt. Das kostet Körperwärme und damit Nahrung. Brasilien würde angenehmer werden. Dort ist es warm, und die Flüsse sind voll mit Fischen. Da genügen eine Angel und ein Feuerzeug, um am Leben zu bleiben.

Die Wegstrecke für das Training ist schnell gefunden. Ein Lineal von Hamburg nach Süden an die Karte gelegt, und die Route steht fest. Hamburg-Oberstdorf. Knapp tausend Kilometer. Ein Overall, ein Paar Turnschuhe, eine Mütze. Kein Geld, keine Nahrung. 1981.

Der Anfang ist schwer. Vorbei an überfüllten Läden und duftenden Restaurants. Da quält der Hunger. Aber ich habe meine Vision, meine Motivation. Sie lautet: „Allein zu den Yanomami“.  Das macht mich stark. Da scheidet jeder Betrug aus. Ich will mich schließlich nicht selbst aufs Kreuz legen.

Das ZDF hat durch einen Bericht im Hamburger Abendblatt davon erfahren und dreht darüber spontan eine Reportage. Um dem Vorwurf des Betruges, des heimlichen Essens vorzubeugen, geht deshalb ein Begleiter mit, der mich zu kontrollieren hat und sich normal ernähren darf.

Deutschlandmarsch

So lebe ich von Anfang an von meiner Körpersubstanz. Hin und wieder gibt es ein paar Insekten. Mal zwei überfahrene Spatzen, ein Eichhörnchen. In einem Dorfbrunnen zwei magere Forellen. Um sich den nötigen „Treibstoff“ für den Marsch zu beschaffen, lebt der Körper vor allem von der eigenen Substanz. Er baut zunächst das Fett ab. Das entschlackt und belebt mich. Ich fühle mich lebendiger denn je. Dann folgen der Abbau der Muskeln. Ich werde schwächer. Ich brauche längere Pausen, um dem Organismus die nötige Zeit für den weiteren Abbau zu geben. Mich friert. Ich muss jeden unnötigen Wärmeverlust vermeiden. Deshalb wird die Mütze besonders wichtig. Über den Kopf verliert man die meiste Wärme. Vor allem als Glatzkopf. Zuletzt geht es an den Abbau des Gehirns. Ich werde reaktionsärmer, apathischer, habe keine Lust mehr auf Witze.

Aber die wichtigste Erfahrung mache ich am dritten Tag: der Hunger ist vollkommen gewichen. Ich bleibe cool und gelassen. Wenn das TV-Team im Gasthof verschwindet, interessiert mich das in keiner Weise. Nur trinken muss ich. Wasser gibt es genug in klaren Bächen, an denen keine Menschen wohnen.

Pro Tag verliere ich ein Pfund. Als ich am 23. Tag in Oberstdorf ankomme, bin ich um 25 Pfunde leichter. Ich fühlt mich so gut, dass ich den Weg theoretisch sogar noch zurückgehen könnte. Dann aber müsste ich mich entschieden mehr um Nahrung kümmern. Doch das scheint mir unnötig. Niemals werde ich solche Strecken im Urwald zurücklegen müssen, ohne auf Menschen zu stoßen. Bin ich erst einmal am Militär vorbei, will ich alle Viertelstunde auf einer Mundharmonika spielen. Mit der Musik will ich die Indianer anlocken und positiv stimmen.

Die ZDF-Dokumentation „Der Deutschlandmarsch“ ist als DVD im Handel: ISBN –13:978-3-8312-9352-0, Komplett Media Verlag.

2. Erster Marsch zu den Yanomami-Indianern
Marsch zu den Yanomami

Bei diesen Widersprüchen ist das plötzlich ein Thema nach meinem Geschmack, ein Reiseziel, das mir keine Ruhe mehr lässt. Es scheint spannend zu werden, und erstmals erhalten meine Reisen – über die Neugier und Abenteuerlust hinaus - einen Sinn.

Ich sammele Informationen über die Yanomami. Vor allem ist es das Buch „Yanoama“ von Ettore Biocca, das mich mit umfassendem Wissen über das Waldvolk versorgt. Es erzählt das Leben der Brasilianerin Helena Valero, die als junges Mädchen von den Yanomami geraubt wurde und die dann über zwei Jahrzehnte mit ihnen lebte. Ein Lebenskrimi, der spannender authentischer und informativer nicht sein konnte. Einige ethnologische Werke aus der Universitätsbibliothek in Hamburg runden das Wissen ab. Hinzu kommen aktuelle mündliche Informationen von Missionaren in Brasilien.
„Was muss ich tun, damit die Yanomami mich nicht mit einem Goldsucher verwechseln und mich töten?“ Das ist die Kernfrage, mit der ich mich auseinandersetzen muss. Ihre Beantwortung, die richtige Reise-Strategie, werden darüber entscheiden, ob ich lebend zurückkehre oder in die ewigen Jagdgründe geschickt werde.

„Wer laut kommt, ist kein Feind“

Ich muss mich von Goldsuchern auf den ersten Blick unterschieden. Also werde ich allein gehen. Allein wirkt man nicht gefährlich. Außerdem ist man als Einzelgänger niemandem Rechenschaft schuldig. Goldsucher gehen in Gruppen., tragen Waffen und die typische Goldpfanne.
Ich werde unbekleidet gehen. Dann bin ich besser „durchschaubar“. Beobachter erkennen meine Wehrlosigkeit. Sie werden mich sogar bewundern, denn Indianer gehen große Strecken niemals allein.
„Sie haben Angst, dass niemand ihre Leiche bergen, verbrennen und die Knochenasche verzehren kann, falls ihnen unterwegs etwas passiert“,  weiß  Padre Casimiro Beksta. Er ist katholischer Missionar und Sprachgenie. Er gehört zu den Ersten, die die Yanomami-Sprache erforschten. Er wird einer meiner wichtigen  Informanten. Er lebt in Manaus.
„Eine Begrüßung wie Guten Tag oder Floskeln wie bitte und danke kennen die Indianer nicht. Sie kommen an, sind da, erzählen vom langen Weg oder sonst was. Da Sie das infolge fehlender Vokabeln nicht ausdrücken  können, sagen Sie bei einer Begegnung als allererstes  „Schereka pe ni hay ma hey. Sinngemäß heißt das“Nicht schießen, ich bin ein Freund!“
Ich schreibe mir alles auf.

Die Yanomami kennen kein wirklich gleichwertiges Wort für „Freund“. In ihrer Welt ist man entweder miteinander verwandt oder verfeindet. Das Mittelding, dass ein Fremder auch ein Freund sein könnte, kennen sie nicht. In besonderen Fällen umschreiben sie das für sie neue brasilianische Wort amigo mit totihiwe, gut. So bedeutet ihr Wort für Fremder, nape, gleichzeitig auch Feind.

„Und gehen Sie immer laut! Die Indianer sagen ‚Wer laut kommt, ist ein Freund. Wer schleicht, ist ein Feind’.

Marsch zu den Yanomami
Jeder Tipp des alten Missionars ist Gold wert. Am  liebsten nähme ich Casimiro mit als Dolmetscher. Aber er fühlt sich körperlich nicht mehr stark genug. Statt seiner nehme ich eine Mundharmonika mit. Sie wird ‚Begleiter’ und Lebensversicherung zugleich. Auf ihr spiele ich alle 15 Minuten eine Melodie. Die Musik soll mich nicht nur ankündigen. Sie soll die Menschen von vornherein positiv stimmen.
Um das Militär und den so genannten Indianerschutzdienst FUNAI zu umgehen, will ich mein Gepäck auf das Minimum beschränken. So bin ich flexibler als jeder Wachposten und kann ihn weiträumig und mühelos umgehen.
Mein gesamtes Equipment passt schließlich in einen wasserdichten 20-Liter-Weithalskanister. Weder Regen, Luftfeuchtigkeit noch Flussdurchquerungen können der Ausrüstung etwas anhaben. Und gleichzeitig ist der Kanister mein „Schiff“.
Zur Ausrüstung gehören vor allem ein Regendach, Moskitonetz, Haumesser und Hängematte.
Auf Lebensmittel und Wasser verzichte ich völlig. Wasser finde ich überall im Wald. In Bächen, in Lianen.
Mit Nahrung bin ich mir nicht so sicher. Der Regenwald ist mir noch nicht ausreichend bekannt. Das will ich mit meinem Survivalwissen, der Disziplin „Test unbekannter Nahrung auf Genießbarkeit“ ausgleichen. Dennoch bereitet mir die fehlende Waldkenntnis Sorgen. Was ist, wenn ich gar nichts zu essen finde?
Da kommt mir die Idee zu einem Reality-Training, dem eingangs beschriebenen Marsch von Hamburg nach Oberstdorf. Der Marsch wird meine wertvollste Erfahrung, mein wichtigstes psychologisches Ausrüstungsteil.

(Den ausführlichen Marschbericht finden Interessenten in meinem Buch „Echt verrückt, Band 2“, ab Herbst 2008)

 

Gestalten wie aus einem Vexierbild

Marsch zu den Yanomami

Ein Fischer aus Barcelos am Rio Negro bringt mich so weit wie möglich die Nebenflüsse Demini und Aracá hinauf. Dann bin ich allein und marschiere los. Mit meinem Kanister, dem Überlebensgürtel und viel Optimismus. Und mit permanenter Angst. Geht meine Strategie auf? Wie wird der erste Kontakt aussehen? Ist es ein Pfeil im Bauch? Wird sich womöglich niemand blicken lassen? Muss ich unverrichteter Dinge umkehren? 
Alle Sorgen verfliegen, als schon nach nur fünf Tagen die ersten Indianer vor mir stehen. Unvermittelt lösen sich ihre braunen Körper aus dem Schatten der Bäume und dem Rotbraun des welken Laubes am Boden. Wie Figuren aus einem Vexierbild.
Schereka pe ni hai ma hey!”  Ich sprudle den Paradesatz wie aus der Pistole geschossen heraus. Ich habe ihn mir für diesen Moment mit autogenem Training immer wieder vorgesprochen. Und noch im Sprechen stecke ich die Mundharmonika in den Mund, atme einfach aus und ein, aus und ein,  etwa wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, schlage einen Purzelbaum…
Die drei Männer stehen gebannt und staunen. Ihre Pfeile bleiben gesenkt. Sie lachen. Sie nehmen mich mit in ihr Dorf. Dieser Tag wird zur Begegnung mit einer anderen Welt, zur Wende in meinem Leben.
Zunächst fällt auf, dass es keine Überbevölkerung gibt. Im Durchschnitt haben die Frauen zwei Kinder. Vier Jahre tragen sie sie an der Brust. Es gibt keine Hektik, keinen Müll, keine Arbeitslosigkeit. Vier Stunden muss ein Erwachsener pro Tag arbeiten, um sein Leben zu fristen. Danach ist Feierabend.
Die Verständigung erfolgt mit einer Vokabelliste von Casimiro. Zwei Männer des Dorfes sprechen ein wenig Portugiesisch. Das wird besonders hilfreich.
Was ihre Lebensart von der unseren am meisten unterscheidet, ist der fehlende Drang nach Luxus. Auch unser Vertrauen in und die Abhängigkeit vom ewigen Fortschritt, ist ihnen fremd. Sie leben wie immer. Heute wie gestern.
Zu Beginn meiner Begegnungen haben sie kaum Metall. Sie haben Grabstöcke, Pfeile, Flechtwerk. Bäume werden in tagelanger Arbeit mit Feuer gefällt, Fische geschossen oder vergiftet.
Sie wohnen wie eh und je unter einem großen gemeinsamen runden Dach. Keine Trennwände, keine Privatsphäre. Die Folge: Streit. Es sind keine „edlen Wilden“ nach Karl-Mayscher Lesart. Es sind „Ballerköppe“ wie alle Menschen.
Ich erlebe ihre heile Welt. Die der Jagd, des Fischfangs, des Sammelns und des Ackerbaus.

Bürgerkrieg im Regenwald

Irgendwann nehmen sie mich mit an die Front. Urplötzlich werde ich Augenzeuge der Konfrontation mit unserer Welt, der Welt der Goldsucher, der Welt der Habgier, Rücksichtslosigkeit und Unberechenbarkeit. 65.000 (fünfundsechzigtausend) bewaffnete Männer wühlen sich von 120 illegalen Landepisten aus in den Wald! 400 Flugzeuge sorgen für den Nachschub. Erbarmungslos machen die Invasoren alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellt. Der Indianer hat keine Chance.
Dabei sind die brasilianischen Gesetze auf Seiten der Indianer. Ihnen zufolge dürfte man ohne Zustimmung der Indianer nicht einen einzigen Baum fällen. Die Verantwortlichen vom Indianerschutzdienst, das Militär und die Politiker (bis auf sehr wenige Ausnahmen) schweigen und ignorieren das Geschehen. Kriminelle in Uniformen und Anzügen. Hier wird soeben auch das allerletzte der großen freilebenden Indianervölker des Kontinents ausgerottet. Hier tobt ein Bürgerkrieg.
Dass mich die Yanomami nach diesen schlechten Erfahrungen mit uns Weißen freundlich aufnehmen, nötigt mir höchsten Respekt ab. Ich beschließe, den drohenden Völkermord bekannt zu machen und Hilfe zu organisieren. Ich schreibe ein erstes Buch. Hilfe bringt es den Yanomami nicht.

3. Marsch zum Papst

90% der Brasilianer sind Katholiken. Meine Idee: ein Machtwort von ihm, eine Empfehlung könnte womöglich etwas bewirken. Ich versuchte, ein Gespräch mit ihm zu bekommen. „Sie sind ja nicht mal Katholik“, bescheidet mir seine Nuntiatur in Bonn.

Also marschiere ich zu Fuß nach Rom. Ab Oberstdorf, denn den Weg bis dahin war ich ja bereits einmal gegangen (> Deutschlandmarsch). Mein Verlag organisiert die Aufmerksamkeit der italienischen Medien. Wenn er mich nicht empfängt, wäre das auch eine Stellungnahme.

Ein erneuter Anruf in der Nuntiatur endet mit deren Vorwurf: „Nun fühlen wir uns erpresst.“
Meine Unterstützer werden aktiv. Das sind Einzelpersönlichkeiten wie Willy Brandt, Prof. Bernhard Grzimek, Hoimar von Dithfurt oder die Katholische Jugend Deutschlands. 25 sind es schließlich. Ein „Dietrich“, der alle Türen öffnen müsste.
Da ich nicht mit einem Nachgeben des Vatikans rechne, plane ich, ein Seil über den Petersplatz zu spannen, mich mit einer Hängematte daran zu hängen und während der Generalaudienz des Mittwochs ein Transparent zu entfalten: „Stoppt den Völkermord an den Yanomami-Indianern in Brasilien!“
Nach drei Wochen Marsch stehe ich auf dem Petersplatz. Für ein Seil viel zu groß. Es würde immer durchhängen. Abgesehen von der  Vereitelung durch die Polizei.

„Dann miete ich ein Kleinflugzeug und fliege Kreise um den Vatikan. Hinter mir das Transparent.“
Die Verleihfirma klärt mich auf. „Während der Audienz besteht Flugverbot.“
Gerade will ich Lösung drei realisieren. Ich will eine kleine Leinwand beschriften und sie entfalten, wenn der Papst mit seinem Fahrzeug zwischen den Gläubigen hindurchfährt. Da kommt ein Anruf aus der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. „Der Papst hat auf Grund der Intervention Willy Brandts nachgegeben und macht eine Ausnahme.“
So darf ich ihm das Problem dann kurz vortragen. Er findet das Anliegen „unterstützenswert“ und verspricht. „sein Bestes“ zu tun.
Er hat Wort gehalten. Er hat nichts getan. Eben sein  „Bestes“.

Wie es weiterging, steht ausführlich in meinem Buch „Im Tretboot über den Atlantik“ Leider ist es nur noch antiquarisch erhältlich.
4. Zweiter Marsch zu den Yanomami-Indianern

Beim zweiten Mal, 1985, nehme ich zwei Begleiter mit. Uli Krafzik als Dokumentarfilmer und Daniel Grolle als Ton-Mann. Wir bringen einen ersten Film mit, erste Begegnungen mit einzelnen Goldsuchern. „Yanomami – Überleben im Urwald“ wird vom ZDF in guter Abendsendezeit ausgestrahlt. Ganz langsam werden die Indianer bekannt. Aber drüben in Brasilien nimmt auch die Bedrohung zu.

5. Undercover als Goldsucher
Undercover als Goldsucher

Weitere Goldsucher marschieren ein. Von Jahr zu Jahr werden es mehr. Divisionsstärke. Ich tauche erneut in die Wälder ein. Immer wieder. Mit wechselnden Partnern und immer neuen Vorwänden schleusen wir uns ein, mischen uns unter Indianer, Goldsucher und Hintermänner, um mit ständig aktuellen Berichten das Drama im Regenwald einer möglichst breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen. Wir brauchen Geduld und langen Atem.
   Bei unserem Kontakt mit den Goldsuchern stellen wir sehr bald fest, dass sie nicht grundsätzlich Kriminelle sind, die nur zwei Ziele verfolgen: Indianer morden und Gold scharren. Sie sind selbst Opfer. Sie werden von einer gut organisierten Mafia mit Versprechungen von Reichtum in den Wald gelockt und erbarmungslos ausgebeutet. Sklaverei wie eh und je.
   Das Leben als Goldsucher ist streng reglementiert. Vier Männer (garimpeiros), ein Aufseher (gerente) und manchmal eine Frau teilen sich die Arbeit in einem garimpo, einer Grube. Die Frau hat die Aufgabe, tagsüber für die Männer zu kochen und ihre Wäsche sauber zu halten. Nachts arbeitet sie meist als Prostituierte. Schlaf findet sie offenbar während des Beischlafs. Vielleicht heißt das deshalb so.
   Zunächst wird der Wald gefällt. Dann werden Claims von 20 mal 20 Meter abgesteckt, vom Holz gesäubert und das Erdreich mit Hochdruckwasserpumpen aufgerissen. Bis zu vier Metern Tiefe. Im Schlamm befindet sich (mit Glück) Goldstaub. Winzige, manchmal kaum sichtbare Nuggets (pepitas de ouro). In flachen, Spitzpfannen wird durch Rotation die leichtere Erde über den Pfannenrand hinausgeschleudert. Das schwere Gold (spez. Gewicht 19,32 g) verbleibt am Boden der Pfanne mit einigem Restschlamm. Dieses Gemisch wird mit Quecksilber vermengt. Die Chemikalie zieht den Goldstaub an wie ein Magnet das Eisen und verbindet sich damit.

Undercover als Goldsucher
    Das Gold-Quecksilber-Gemisch wird mit Schweißbrennern auf 1064°C erhitzt. Das hochgiftige Quecksilber verdunstet in die Atmosphäre, das Gold schmilzt. Das verdunstete Quecksilber kehrt als Niederschlag zurück auf die Erde und belastet den Wald und das Leben. Das Gold wandert in die Taschen der Bosse.
   Bei diesem Schmelzvorgang sind alle vier Goldsucher und der gerente, der Aufseher, zugegen. Diebstahl ist sehr schwierig. Wenn er doch mal gelingt (z.B. beim Fund eines größeren Nuggets), aber entdeckt wird, wird der Dieb getötet.
    Die gefundene Menge wird gewogen. Der Boss des Claims  erhält 70%. Das beansprucht er für seine Kosten: den „Erwerb“ des Gebietes, Bestechung der Behörden, Beschaffung der Maschinen, des Sprits, Rekrutierung der Leibwache (pistoleiros). Die verbleibenden 30% gehen zu gleichen Teilen an die vier Goldsucher und die Köchin.
   Mein Anteil nach drei Wochen Schinderei und Sodbrennen bis zum Anschlag (als Folge des einseitigen Essens) beträgt sechs Gramm!
    Damit der Boss möglichst sämtliches Gold erhält, sind die Lebensbedingungen entsprechend erschwert. Die Arbeit währt von morgens bis abends. Das Essen ist eintönig. Bohnen und Reis. Wer Appetit auf anderes hat, muss es kaufen. Im Laden des Bosses, dem hier alles untersteht und der gleichzeitig absoluter Herrscher ist, gibt es Zucker, Schnaps, Zigaretten, Nudeln, Cola usw. Aber jedes Kilo kostet 1 Gramm (= 10 US-Dollar). Andere Währungen als Gold gelten nicht.

 Goldsucher – Täter und  Opfer

   Wer Verlangen nach einer Frau hat, bezahlt fünf Gramm pro Nacht. Festpreis. Gehandelt wird nicht. Sonst gibt es Mord und Totschlag. Kondome sind teuer. Also verzichtet man auf sie. Geschlechtskrankheiten sind so verbreitet wie nirgendwo sonst in Brasilien.
   Damit die Frauen nicht reich werden, müssen sie für ihr Sonderrecht, bedürftige Männer scharenweise vorzufinden, hohe Summen an den Boss abführen, müssen täglich in der Kantine essen und für jede Mahlzeit ein Gramm Gold  löhnen.
    Reich werden nur die Bosse und die Piloten. Jeder Flug kostet 15 Gramm pro Person. Fünf Personen haben in den kleinen Maschinen Platz.
    Diese Pistenbosse (donos de pista) scheuen vor nichts zurück. Erforderlichenfalls finden sie jederzeit Unterstützung beim Militär, der Polizei, dem „Indianerschutzdienst“ FUNAI. Zu ihnen besteht Radioverbindung.
   Sie töten aufmüpfige Goldsucher. Sie lassen Indianerdörfer in Flammen aufgehen. „Affen grillen“ nennen sie das. Niemand zieht sie zur Rechenschaft. Im Wald sind sie uneingeschränkte Herren. Feuerwaffen der Goldsucher gegen Pfeile der Indianer. Der Indianer ist chancenlos. Bürgerkrieg.

Undercover als Goldsucher
    „Der weiße Mann zieht seiner eigenen Mutter Erde, die ihn immer ernährt hat, bei lebendigem Leibe die Haut vom Körper“ - ein fassungsloser Indianer beim Anblick eines Bulldozers, der seinen Wald mühelos beiseite schiebt:
   Dennoch ist der Goldsucher ebenso Opfer wie der Indianer. Viele können froh sein, wenn sie je ohne Gewinn, aber zumindest  lebend wieder in die Zivilisation entlassen werden. Mord und Malaria  - die verbreitetsten Todesursachen. Keiner traut irgendjemandem. „Schneller als in einer Leiche kann man Gold gar nicht finden“, lautet eine verbreitete Devise. Also tötet man Kameraden, wo sich die Gelegenheit dazu bietet und eignet sich dessen paar Krümel Gold an, das T-Shirt, die Goldzähne. Wegen dieser Gefahr geht man in Gruppen, ist bewaffnet. Einzelgänger gelten als Selbstmordkandidaten.
       Ist eine Grube (nach etwa drei Wochen) erschöpft, nimmt man sich die nächste vor.   Zurück bleibt ein verwüsteter Urwald, ein Biotop der Sonderklasse, bereichert um Plastikabfall und Quecksilber. Der täglich niederfallende Regen strömt ungebremst zurück in den Ozean. Früher blieb viel davon im Humus hängen, auf dem Blätterdach. Jetzt geht das Wasser Brasilien verloren.
   Im Jahre 2005 kann endlich auch der Dümmste die Folgen des Raubbaus sehen: noch nie, seit 500 Jahren,  hatten der Amazonas und Rio Negro so wenig Wasser!

6. Meine Mitstreiter
Mitstreiter

Nur mein erster Marsch zu den Indianern geschieht ohne Partner. Schon beim zweiten Mal,  habe ich zwei Mitstreiter dabei. Später dann jeweils einen. Ihnen allen schulde ich Dank. Ohne sie wäre mein Kampf aussichtslos gewesen.

Uli Krafzik begleitet mich als Filmemacher. Sein Film „Überleben im Urwald“ wird im ZDF, reportage, gezeigt.
Daniel Grolle begleitet uns bei dieser Reise als Tonmann.
Wolfgang Brög gelingt die eindrucksvollste Reportage. Er dokumentiert unsere Undercover-Arbeit als Goldsucher mit versteckter Kamera. Sein Film „Goldrausch in Amazonien“ wird ebenfalls im ZDF, reportage, gezeigt Greenpeace kopiert ihn mehrere hundert Male und verteilt die Kopien an viele TV-Sender in aller Welt. Dieser Film trägt wesentlich dazu bei, den drohenden Völkermord an den Yanomami bekannt zu machen. Er stärkt die Lobby, beschleunigt die Wende zugunsten der Indianer,.
Beide Yanomami-Filme sind  heute auf DVD erhältlich (s. Literaturverzeichnis)
Christina Haverkamp und ich werden Freunde und Kampfgefährten auf mehreren Reisen. Undercover als Malariahelfer, als ‚Reporter’ „für“ die Goldmafia, als Seeleute mit dem Bambusfloß über den Atlantik. Als Frau gelingt es ihr beinahe mühelos, die Mafiabosse und die Politiker vor die Kamera und zu Aussagen zu verlocken und lebend aus brenzligsten Situationen herauszukommen.
   Als Revanche verbrennt man ihr ein Auto, wir werden mehrfach in Fallen gelockt und ausgeraubt, sie wird von Goldsuchern gefangen gehalten und nur durch die schnelle Reaktion der deutschen Botschaft in Brasília gerettet.

    Gemeinsam bauen wir die erste Hilfsstation am Rio Marauiá (siehe Buch „Über den Atlantik und durch den Dschungel“; leider nur noch antik verfügbar). Christina baut später weitere vorbildliche Hilfsstationen für die Yanomami in Brasilien und Venezuela

Unsere Feinde

Mitstreiter

    Sie sind zahlreich. Sie reichen vom einfachen Goldsucher über deren Pistenbosse, Wirtschaftsführer, das Militär, die Polizei, die Politiker bis hinauf zum Staatspräsidenten. Nicht zu vergessen die Journalisten und Missionare. Die Armee der Hintermänner ist größer als die Anzahl der Goldsucher. Das System der Ausbeutung ist mafiös durchstrukturiert. Perfekt. Auch der Indianerschutzdienst FUNAI machte uns damals Probleme. Heute arbeiten wir mit unserem Projekt bei den Waiapí-Indianern zufrieden stellend zusammen.
     Mit Ausnahme der Goldsucher (viele sind Analphabeten) kennen alle Beteiligten die brasilianische Verfassung. Sie liest sich so fantastisch, als hätten Poeten und Philosophen sie formuliert. Man möchte sie sich übers Bett hängen. Ihr zufolge darf man keinen einzigen Baum fällen, keinen Fisch fangen ohne Zustimmung der Indianer. Es klingt, als dürfe man als Fremder nicht einmal ihren Sauerstoff atmen.
   Die Verfassung wird auch von allen beachtet. Aber nur, um sie als Anregung zu nutzen, dann das Gegenteil zu praktizieren.
   In dieser Kette der Gesetzesbrecher sind die Goldsucher die, denen man am wenigsten einen Vorwurf machen kann. Sie kommen aus nackter Not und Verzweiflung. Sie hoffen, ihrem trostlosen Leben in den favelas (Elendsvierteln) der Großstädte und der ständigen Arbeitslosigkeit zu entrinnen und ihrem Dasein endlich eine Wende zu geben. Jeder hofft auf den Fund des Lebens, und kaum einer kehrt wirklich reich zurück. Zu klein sind die Fundmengen, zu gering der Schürfanteil, zu skrupellos ist das System der Ausbeutung, sind die Verlockungen durch Frauen und Alkohol. Zu groß sind die Gefahren durch räuberische Kollegen. Goldsucher - Opfer und Täter.

 „Komm mit, Affen grillen!“

Dennoch sind auch  unter den einfachen Goldsuchern ausreichend viele, die keine Sekunde zögern, ohne jeden Anlass Indianer zu töten. Aus niedrigsten Beweggründen. Indianer sind Freiwild. „Es sind doch nur Affen“, ist ihre Meinung. Sie schießen spielende Kinder aus den Bäumen, sie vergewaltigen Frauen und zerteilen sie mit dem Haumessern. Wenn sie ein Indianerdorf umzingeln und anstecken, nennen sie das „Affen grillen“.
    Verantwortlich jedoch sind vor allem die Organisatoren des Völkermordes. Die die Gesetze kennen und sie ignorieren. Diejenigen, die wissentlich gelogene Meldungen als Wahrheit drucken oder in den Äther senden, um Nachschub an Arbeitskräften zu aktivieren. Die, die behaupten, wie viele Tonnen von Gold man finden könnte. Die, die Tötungen von Goldsuchern durch Indianer als Anlass nehmen, die Opfer als Täter und Kannibalen zu diskreditieren, um Brasiliens Bevölkerung gegen sie aufzubringen.
    Es sind die Politiker, Männer wie Frauen, die Gesetze ignorieren und aushebeln, die behaupten, Völkerwanderungen könne man nicht aufhalten, die Landesrecht über Bundesrecht stellen, die da öffentlich wirksam fragen, mit welchem Recht man so wenigen Indianern so viel Land zubillige. Pistenbosse, die sich feiern lassen für ihr soziales Engagements „Wir schaffen Arbeitsplätze!“
    Zu diesen verantwortungslosen führenden Politikern zählen für uns die Gouverneure Gilberto Mestrinho, Romero Jucá Filho, Staatspräsident Sarney und die ständig wechselnden FUNAI-Präsidenten. Einzige Ausnahme: FUNAI-Präsident Sidney Possuelo, der auch heute noch zu den glaubwürdigen Autoritäten des Landes zählt.
    Ferner sind da das Militär und korrupte Richter, die das Indianergebiet zum militärischen Sicherheitsbereich erklären möchten, weil sie sich „bedroht fühlen von Venezuela“. Oder „bedroht von den USA, den Naturschützern und Indianerfreunden, die einen unabhängigen Indianerstaat ausrufen wollen“. Deshalb sind Ausländer allen grundsätzlich suspekt. Es ist gefährlich, sich als Indianerfreund, Naturschützer oder Journalist zu erkennen zu geben.
    Aus den rissigen Hirnen solcher Repräsentanten quellen dann Pläne wie der, quer durchs Yanomamiland eine Verbindungsstraße vom Atlantik bis Kolumbien durch den Wald zu schlagen; die Calha Norte (nördliche Schneise).
    Oder die Idee, den Yanomami nur noch 19 kleine Urwald-Inseln um einige ihrer Dörfer (malocas) herum zuzubilligen und den Rest des Waldes zur Besiedlung und Ausbeutung freizugeben.
    Außerdem sind da die Bosse aus der Wirtschaft, die nicht nur Gold, sondern auch Titan und Diamanten (und vieles mehr) bergen möchten. Da ist die Rede von 34 Bergbauunternehmen, die sich bereits Land gesichert haben, das noch gar nicht zur Disposition steht. Mit Hilfe unserer Unterstützer können wir Belege für diese miesen Geschäfte beschaffen.
   Da sind ferner die Pistenbosse, denen die Polizei und das Militär sofort zu Hilfe eilen, wenn sie sich bedroht fühlen.

  Christen der besonderen Art

Und last not least sind es einige Missionare, die die Vorgänge als Augenzeugen oder aus erster Hand kennen und schweigen, um ihr Missionsrecht nicht zu verlieren. Geradezu kriminell: die protestantische US-Mission New Tribes Mission. Fanatiker übelster Sorte.
   „Was? Du brauchst Malariatabletten? Gerne. Aber dann musst du erst einmal ein Vaterunser für unseren lieben Herrgott beten.“
   Dass den Yanomami ihre traditionelle Religiosität wichtig ist, um ihre Identität zu wahren, wird mit der Arroganz christlicher Überheblichkeit ignoriert.
   Ein besonders beschämendes Beispiel lernen wir im deutschstämmigen evangelisch-lutherischen Pfarrer Ralf Weißenstein in Boa Vista kennen. Christina Haverkamp und mir gegenüber gibt er sich als deutscher Honorarkonsul aus.
   Kurz vorm Start mit einer Mafiamaschine zu einer der illegalen Pisten, werden wir ausgeraubt. Wir wissen, wer die Täter sind, brauchen seinen Beistand. Das verspricht er, rät uns, ein Protokoll über den Überfall anzufertigen und dann schleunigst das Land zu verlassen in Richtung Venezuela. „Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Ich werde die Angelegenheit dann regeln.“
    Das tut er auch. Aber anders, als wir hoffen. Wir vertrauen ihm und nichts geschieht. Als wir ihn doch telefonisch aus Caracas zu fassen kriegen, windet er sich. „Viel Arbeit. Konfirmationen.“ Dann lässt er die Katze aus dem Sack. „Sie haben ja vorgehabt, illegal zu den Yanomami einzufliegen. Alle anderen NGOs haben mir abgeraten, mich für Sie einzusetzen.“
   Dabei gibt es gar keine NGOs, die zu jener Zeit im Yanomamigebiet operieren. Christina und ich sind die beiden einzigen Einzelkämpfer. Nur auf politischer Ebene gibt es noch die brasilianische CCPY (Comissao pela Criacao do Parque Yanomami). Sie ist die wichtigste Organisation für das Überleben der Yanomami. Sie ist nicht gegen uns, sondern zählt zu unseren Beratern.
   Wen wundert’s also: die Deutsche Botschaft in Brasília weiß von keinem Honorarkonsul  namens Ralf Weißenstein. Für uns ist er nicht nur ein Feigling, sondern ein Mittäter. Für uns ist er das Paradebeispiel eines Negativchristen.
   Zum Glück gibt es Ausnahmen.
   Dazu zählen wir die katholischen Salesianer unter Bischof Dom Aldo. Sie haben keine direkte Evangelisierung angestrebt, sondern durch ihre Lebensweise beeindrucken wollen. Die Indianer vertrauen ihnen. Deshalb sind die Salesianer der Mafia ein Dorn im Auge. Mehrfach Attentaten entgangen, kämpft der italienische Bischof dennoch unermüdlich und unerschrocken weiter. Er gehört zu unseren Vorbildern und Beratern. Er wird des Landes verwiesen, seine Missionsstation Catrimani zeitweise geräumt und von Regierungstreuen übernommen. Es ist der Mafia ein Leichtes, Bischof Dom Aldo zu Ostern in leerer Kirche in Boa Vista predigen zu lassen.
   „Wer zur Messe geht, bekommt Probleme“, verbreitet man unter der Bevölkerung. Da betet sie anderswo.   
   Und schließlich ist da der „Indianerschutzdienst“ FUNAI, der zu allem schweigt oder konkurrierende Häuptlinge gegeneinander ausspielt.
   Aber letzten Endes sind es die Staatspräsidenten Sarney und Cardoso persönlich, die verantwortlich sind für den drohenden Völkermord. Sie kennen ihre Gesetze, sie kennen die Situation vor Ort, sie sehen die Satellitenaufnahmen mit den 120 Landepisten. Und sie reagieren nicht.
    „Entsprechende Gesetze sind in Arbeit“, heißt es bei Beschwerden internationaler Menschenrechtler. Und um die Öffentlichkeit zu beruhigen, werden zwei, drei Flugzeuge der Goldsucher beschlagnahmt, ein paar Goldsucher vor laufenden TV-Kameras gefangen und wieder freigelassen, sobald die Reporter fort sind.

 

Persönliche Episoden

Die Kunst des Zählens

   Die Yanomami können nur bis zwei zählen: muhún, eins, purakábe, zwei. Was darüber hinaus geht, heißt bruká, viel. Was wirklich viel ist (Blätter auf den Bäumen) heißt bruká-bruká, viel-viel. Dennoch können sie auch mit höheren Zahlbegriffen umgehen. Ähnlich dem Ostfriesen, der angeblich nicht bis drei zählen kann. Kommen einem Ostfriesen drei Personen entgegen, behilft er sich.  „Na, ihr zwei, noch einen mitgebracht?“
   Ähnlich bewältigen die Yanomami das Problem.
   „Wann ist das Totenfest?“, will ich wissen.
   „Noch viele Tage.“
   „Wie viele?“ Ich halte ihnen die Finger hin. Vier, fünf, sechs...Sie lachen.
    Ich gebe ihnen mehrere Steinchen.  Pro Tag sollen sie einen hinlegen.
   „Ist das Fest morgen?“
   „Nein.“ Ich lege einen Stein hin.
   „Ist es am Tage darauf?“
   „Nein.“ Ich packe einen weiteren Stein hinzu.
   Sie verstehen, was ich will. Den Rest bewältigen sie selbst. Aber es dauert doch fünfzehn Minuten, ehe sie schließlich neun Steinchen aussortiert haben.
   Ich mache eine Gegenkontrolle. Ich stelle anderen Männern dieselbe Aufgabe. Auch dort nach langen Diskussionen: neun Steine.
   Am nächsten Tag ein weiterer Check. „Wie viele Tage sind es bis zum Totenfest?“
   Tatsächlich legen sie mir acht Steine hin. Und nach acht Tagen findet die Feier tatsächlich statt.
   Eine andere Art des Zählens erlebe ich bei einem langen Marsch durch unbekanntes Gebiet. Pro Nachtlager schnitzen sie eine Kerbe seitlich in ein winziges, flachgeschabtes Stöckchen. Auf dem Rückweg erhält das Kerbholz allabendlich eine Gegenkerbe. Und optisch ist jedem klar, wann man wieder daheim ist.

Geiz

   „Wer mehr hat, muss abgeben“, lautet eins ihrer Grundgesetze. Das kriege ich bald zu spüren. Nicht ich bestimme, wer wann und wofür Geschenke (Angelhaken, Tabak, Nadeln...) erhält. Sie werden mir sehr bald, zwar höflich, aber bestimmt, abgenommen.  Der Häuptling übernimmt die Verteilung. Nachteil: zu den nächsten Dörfern muss ich ohne Geschenke. Vorteil: es gibt keinen Streit, denn niemand fühlt sich übergangen.
    Oder: ich habe meine Strümpfe gewaschen. Sie hängen auf einer Liane zum Trocknen. Schlendert ein Yanomami vorbei. Sieht die zwei Socken, stutzt, zählt nach. „muhún, purakábe, eins, zwei!“ Daneben liege ich in der Hängematte. Sein Kopf arbeitet. „Zwei Socken, aber nur ein Mensch. Da ist eindeutig ein Strumpf zuviel.“
   Gedacht, gehandelt. Ich bin die Socke los. Er zieht sie über einen Fuß und präsentiert sie, stolz humpelnd, den Mitbewohnern.
   Es kostet mich viel Überredungskunst und etwas von dem weit entfernt verstecktem (als Vorbeugung gegen die Beschlagnahme durch den Häuptling) Tabak, um das Textil zurückzukaufen. Dabei müsste ich ihm eigentlich dankbar sein. Denn „Wer geizig ist, kommt nicht in den Himmel.“
   Das schlimmste Schimpfwort, das man einem Yanomami zurufen kann, ist „Wa zi imi, Geizhals!“

Alkohol, Drogen, Tabak

   „Die Yanomami kennen keinen Alkohol“, heißt es in vielen Schriften. Ich erlebe das anders. Anlässlich eines Festes wird ein riesiger Bottich mit Pupunha-Früchten gekocht. Die Früchte schmecken wie gekochte Kartoffeln, werden zermatscht und mit Wasser zu einer Kartoffelsuppe gemengt. Es ist eine große Menge. Längst sind alle satt. Dennoch ist noch viel übrig. Am anderen Tag ist der Brei am Gären. Gierig trinken selbst Kinder das Gebräu und liegen sehr bald trunken und völlig willenlos am Boden.
    Den Yanomami ergeht es mit Alkohol wie vielen Naturvölkern. Wenn sie seiner habhaft werden, trinken sie bis zum Exzess. Dabei genügen schon kleinste Mengen, um den Indianer betrunken zu machen. Ihm fehlt das Enzym, das uns „Weißen“ hilft, Alkohol zu verkraften.
   Deshalb ist der Verkauf oder die Abgabe von Alkohol an Ureinwohnerstreng verboten. Allerdings kümmert sich niemand um die Einhaltung.

   Sobald die tägliche Arbeit geleistet ist – das ist nach durchschnittlich vier Stunden der Fall – werden nachmittags von den Männern Drogen (epená) geschnupft. Jeden Tag. Sie werden hergestellt aus einer Mischung verschiedener halluzigener Pflanzen. Diese werden über dem Feuer schnellgetrocknet und mit dem Mörser zerstoßen, gesiebt, pulverisiert. Bis wirklich alles staubfein ist. Dieses Pulver hebt man sich gut auf. In kleinen Kürbissen, in hohlen Knochen, in Glasfläschchen. Bei Bedarf blasen sich die Männer die Droge gegenseitig mit voller Kraft und in mehreren Schüben mittels kurzer Blasrohre durch die Nase bis ins tiefste Gehirn und die Lunge. Um die Tiefenwirkung zu erhöhen, wird das andere Nasenloch zugehalten.
    Schmerzgestöhn, schwarzer Nasenschleim, schwarzer Speichel, tränende Augen sind die typische erste Folge. Nach wenigen Momenten setzt die Wirkung ein. Sie fühlen sich groß, stark und unbesiegbar. Sie scheinen völlig „weggetreten“. Aber das sind sie nicht wirklich. Sie nehmen sehr deutlich wahr, was um sie herum vorgeht. Anders als ein Betrunkener in unserer Welt. Dann tanze und singen sie, jeder für sich.
   Der Tanz währt eine bis zwei Stunden. Dann  legen sie sich erschöpft in die Hängematte.
   Wenn Yanomami mit uns aus dem Wald in eine brasilianische Ortschaft kamen, nahmen sie die Drogen überraschend nicht. Wenn sie jedoch auf Landsleute stießen, tat man sich zusammen und schnupfte Epená wie daheim.
   Die Yanomami rauchen ihren Tabak nicht, sondern saugen ihn. Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen. Sie streuen Asche aus ihren Feuern auf die feuchten Blätter, rollen sie fingerdick auf und schieben die Rolle hinter die Unterlippe. Dort verbleibt sie während des ganzen Tages. Während des Schlafes wird die Rolle neben die Hängematte gelegt. Morgens wird sie erneut mit Speichel elastisch gemacht.

 Liebeserklärung

Schweißgebadet schrecke ich nach einem fiebrigen Malarianfall hoch. Um mich herum hocken die drei Dorfschamanen. Sie haben sich mit Epená vollgedröhnt. Der schwarze Nasenschleim tropft auf meinen Bauch. Soeben streift mir einer unter großem Geschrei mit seinen nassen Händen den bösen Malariageist, die Beine entlang, aus dem Körper heraus, fängt ihn mit den Händen auf. Damit stürzt er schreiend in den Wald und „entsorgt“ den Schädling, indem er ins Gebüsch schleudert.
    So werde ich gesund. Vielleicht auch wegen meiner Malariatabletten.
   Während ich das noch halbbenommen mitverfolge, streicheln mich die anderen. Und Häuptling Fusiwe macht mir Mut. „Wenn du tot bis, essen wir dich auf!“
    Das ist kein Grund zum Schock. Es ist die schönste Liebeserklärung auf Yanomami. Dann ist sichergestellt, dass auch meine Seele verzehrt wird und nicht ins All entweicht. Denn dort würde sie von bösen Geistern massakriert. Im Leib eines Lebenden jedoch ist sie sicher. Denn der Lebende verteidigt sich gegen Angriffe.

 

Besonderheiten der Yanomami

Totenkult

Tote werden verbrannt. Auf Wanderungen an Ort und Stelle. Im Dorf werden sie mit Lianen in viel Laub eingeschnürt und weit entfernt vom Dorf zum Abfaulen des Fleisches in die Bäume gehängt. Nach vier Wochen wird das verbliebene Skelett in ein großes loderndes Feuer geworfen.
   Wenn es erloschen ist, sammelt man sämtliche Knochen aus der Asche („In den vielen Röhrenknochen befindet sich die Seele“), pulverisiert sie und isst sie mit viel Bananensuppe auf.
   Danach wird man nie wieder über den Toten sprechen.

Namen

    Die Yanomami erhalten zwar Namen. Aber die darf man, wenn man sie überhaupt kennt,  nie laut aussprechen. Wenn man das nämlich tut, können die überall anwesenden bösen Geister mithören. Sobald sie den Namen eines Menschen kennen, können sie seinen Leib entern und ihn töten.
   Deshalb umschreibt man das. Schwager, Dicker, Du da -  drei Beispiele. Ich war „der ohne Haare“. Kurz Glatze genannt. Viele Yanomami sind inzwischen aufs Portugiesische ausgewichen. Sie nennen sich Mário, Roberto, Claùdia - und die „bösen Geister“ fallen darauf rein.

Frauenraub

Frauen werden manchmal von weit entfernten Dörfern geraubt. Frisches Blut vermeidet Inzucht. Außerdem ist es spannend. Aber die Folge sind auch Stammesfehden. Die Yanomami sind keine befreundete große Einheit. Sie sind zerstritten wie alle Völker auf der Welt.
   Manche Frauen sind stolz, geraubt worden zu sein. Es erhöht ihren Selbstwert.
   Für Kinder ist Frauenraub ein beliebtes Spiel. Da sind einerseits die Mädchen, andrerseits deren Beschützer und dritterseits die Räuber. Jede geraubte und jede gerettete Frau gibt Grund zu großem Gejohle.

Scheidung

    Mädchen können sich ihren Mann nicht selbst aussuchen. Er wird von den Eltern bestimmt.
Allerdings kann sie sich von ihrem Ehemann selbst scheiden, wenn sie nicht mehr zufrieden mit ihm ist. Allerdings sollte sie vorher einen anderen Mann haben. Als Beschützer. Dann hängt sie ihre Hängematte zu ihm und legt sich hinein.
   Der verlassene Mann kann den Gegner, wie auch in anderen Streitfällen, zu einem Stockduell herausfordern. Abwechselnd schlagen sie sich dann, unter Stillhalten des Geschlagenen, mit voller Wucht auf eine freigeschorene Stelle auf den Hinterkopf. Männer mit vielen Narben gelten als mutig. Nicht selten endet die Prügelei mit dem Tod eines der Geschlagenen.

Geburt

Frauen bringen ihre Kinder im Wald zur Welt. Sie legen große Blätter unter sich und gebären im Hocken. Die Nachgeburt wird vergraben. Wenn das Kind einen sichtbaren körperlichen Defekt hat, wird es getötet. Behindertes hat im Urwald keine Überlebenschance.
   Hat das Kind bereits an der Brust getrunken und der Fehler wird erst dann entdeckt, bleibt es am Leben. Wir erleben nur einen solchen Fall. Ein mongoloides Kind.
   Bei Zwillingen wird der zweitgeborene getötet. Mehr als ein Kind kann eine Mutter nicht aufziehen. Denn sie muss es ernähren, tragen auf endlosen Wanderungen und nebenbei noch arbeiten.
    Kinder werden bis zu vier Jahre lang an der Brust ernährt, erhalten aber allmählich zusätzlich andere Nahrung.
   Im Durchschnitt haben Frauen zwei Kinder.

Ortskenntnis

So sicher, wie wir uns in unseren Städten zurecht finden, so sicher orientiert sich ein Indianer im Wald. Noch nach vielen Tagen durch den wegelosen Wald, weit entfernt vom eigenen Dorf, hat er keine Probleme, seinen Pfad auszumachen, obwohl der für uns nicht annähernd sichtbar ist. Ihm ist jeder Baum ein Wegweiser. Er muss ihn nur einmal irgendwann gesehen haben. Indianer lesen Bäume wie wir Straßenschilder.
   „Das kann man sich leicht merken, weil es keine zwei gleichen Bäume gibt“, erklärt mir ein Indianer lächelnd und wundert sich über meine Blindheit und Hilflosigkeit. „Jeder Baum spricht mit dir.“
  Dafür hat der Indianer Probleme in der Stadt. Er kann die Straßennamen nicht lesen, kann Häuser anfangs nicht voneinander unterschieden. Er verläuft sich in Orten mit nur zwei Straßen.

Aktionen

   Achtzehn Jahre bin ich als Aktivist vor Ort oder irgendwo in der Welt unterwegs, um den Untergang der Yanomami bekannt zu machen. Es sind abwechselnd Projekte im Regenwald oder auf internationalem Territorium. Hier einige Beispiele.
    Beim ersten Mal gehe ich noch allein zu den Yanomami, schreibe darüber das Buch „Yanonámi – Überleben im Urwald“, (damals gab es noch 18 Schreibweisen für die Yanomami). Auflage zunächst 10 000 Exemplare. ISBN 3 548 34268 X
   Das Buch bewirkt nichts. Die Bedrohung nimmt zu. Ich gehe erneut in das Krisengebiet. Immer illegal nach brasilianischer Rechtsauffassung, immer mit Tricks, mit List und meinem Survivalwissen. Mit Ulrich Krafzik (Film) und Daniel Grolle (Ton) bringen wir eine erste ZDF-Filmdokumentation nach Hause. Millionen Menschen erfahren nun erstmals von dem Problem. Aber auch dieser Film setzt noch nichts in Gang. Außer, dass die Vokabel Yanomami bekannter wird.

Undercover als Goldsucher

   Mit Wolfgang Brög verdinge ich mich als Goldsucher. Seine ZDF-Dokumentation „Goldrausch in Amazonien“ dreht er mit versteckter Kamera. Der Film bewirkt eine Wende. Greenpeace fertigt tausend Kopien an und verteilt sie in alle Welt. Der Film läuft mehrfach in Brasilien. Indianergemeinschaften erhalten Videobänder, um ihnen die Gefahr zu verdeutlichen, die von Goldsuchern ausgeht.

     Buch „Die letzte Jagd“, ISBN 3-921 909 – 71 - 6
7. Per Tretboot über den Atlantik
Tretboot

1987 fahre ich allein auf selbstgebauten Tretboot über den Atlantik, um einen Appell verschiedener Menschenrechtsorganisationen medienwirksam über den Ozean zu strampeln und so weltweit ins Gespräch zu bringen. Einen Appell an den brasilianischen Staatspräsidenten, die Yanomami so zu schützen, wie sein Grundgesetz es ihm vorschreibt.

 

Buch „Im Tretboot über den Atlantik“, ISBN 3-492-22829-1, nur noch antiquarisch)
ZDF-Film “Im Tretboot nach Brasilien“ als DVD, ISBN 13: 978-3-8312-9353-7 Komplett-Media GmbH

8. Als Malariahelfer unter Goldsuchern
Malariahelfer

Natürlich gibt es auch ständig weitere Aktionen im Urwald. Mal als so genannte „Malariahelfer“, mal als „TV Europa“_-Filmteam, das die Goldsucher aus Sicht der Mafia zeigen will nach dem Motto „Wir geben 65.000 Arbeitslosen Arbeit!“
Bis 2000 bin ich fast jährlich vor Ort des ungleichen Krieges zwischen den Yanomami mit ihren Pfeilen und Bogen und den Weißen mit ihren Bulldozern, Gewehren, Vergewaltigungen und Krankheiten. Am häufigsten mit Christina Haverkamp. Sie unternimmt auch eine eigene, eine „Frauenexpedition“. Mit nur Frauen als Teilnehmerinnen. Als Frau und mit ihrem Mut gelingt es ihr fast mühelos, geheime Dokumente zu beschaffen. Zum Beispiel die Landkarte aus dem Tower des Flughafens von Boa Vista (Sitz der Goldgräber-Mafia). Auf ihr sind sämtliche 120 illegalen Landepisten verzeichnet. Die Landepisten, die jeder Buschpilot kennt, aber angeblich kein Militär, kein Politiker. Die Mafia reagiert sauer. Plötzlich brennt Christinas VW-Bus auf rätselhafte Weise am helllichten Tage mitten in Boa Vista. Zweimal werden wir komplett ausgeraubt.
   Bei anderer Gelegenheit wird Christina während unserer Recherchen im Goldgräbergebiet (garimpo) festgesetzt, der Rückflug verweigert. „Wenn du Hunger hast, kannst du dir dein Geld als Prostituierte verdienen“, so das Angebot der Pistenbosse. 
    Ich bin zufällig einen Tag vor der Entlarvung ausgeflogen worden. Über einen Piloten kann sie einen Hilferuf an mich absetzen. Ich alarmiere die Deutsche Botschaft in Brasília, und die benachrichtigt die Bundespolizei (Polícia Federal). Innerhalb von 24 Stunden kommt Christina frei.
   Grund für Christinas unerwartete Festsetzung und unsere Bedrohung ist die Ausstrahlung des Films von Wolfgang Brög im brasilianischen Fernsehen. Man hat den 45-Minuten-Streifen in fünf Folgen zerhackt, mit Werbung gespickt und so auf insgesamt 75 Minuten aufgemotzt. Da hat jeder Mafiaboss in Boa Vista Gelegenheit, sich am nächsten Tag hinzuzuschalten und verärgert zu sein.
  
   Ich konsultiere die Weltbank in Washington, um über ihren Einfluss Druck auf Brasilien zu erbitten. Die Brasilien-Expertin der Weltbank gibt uns einen wertvollen Rat für Wolfgang Brögs Film. „Nachdem man die willkürliche Zerstörung und Ignoranz aller Gesetze in Ihrem Film gesehen hat, lassen Sie in den letzten Filmszenen Auszüge aus der Verfassung über den Abspann laufen.“
   Ein guter Rat mit einrucksvoller Wirkung.
   Auch bei einer UNO-Versammlung in der Schweiz zugunsten bedrohter Urvölker zeigen wir Wolfgangs Film.
   Wir veranstalten Demonstrationen vor dem brasilianischen Generalkonsulat in Hamburg und der Botschaft in Bonn. Wir bauen Urwaldszenen nach und imitieren Goldwäsche.
     Im Laufe der Zeit schreibe ich fünf Bücher über das Yanomami-Drama. Christina und ich touren mit Lichtbildervorträgen durch Europa. Dazu kommen viele TV-Magazinbeiträge und Talksendungen. Greenpeace, Survival International, der WWF und immer mehr kleinere Organisationen schließen sich der Bewegung an. Irgendwann kennt „jeder“ die Yanomami.

Rettung

   Ende des letzten Jahrtausends ist der Druck endlich ausreichend groß. Entscheidend wird die Weltbank. Sie verbindet eine Kreditvergabe an Brasilien mit der Bedingung „Kredit nur bei Yanomami-Frieden!“
   Und plötzlich ist er möglich. Der Nachschub wird abgeriegelt, Flugzeuge werden notfalls beschlagnahmt. Der Spuk hat ein Ende. Die Yanomami erhalten einen akzeptablen Frieden.
   Der Hauptdank dafür gilt der seriösen und kontinuierlichen Arbeit der brasilianischen CCPY und den positiven Politikern und Menschen  Brasiliens.
. Die Goldsucher sind weniger gut dran. Sie müssen zurück in die Elendsviertel der Großstädte.
   Mittlerweile sind die Yanomami weltbekannt. Viele internationale Organisationen kümmern sich um sie. Ich wende mich anderen Projekten zu. Die letzte mit Christina gemeinsame Aktion ist der Bau einer Hilfsstation am Rio Marauiá. Hospital und Schule. Die Gelder stammen von Spendern, die unsere Vorträge gesehen haben und uns vertrauen.
    Die Anregung zum Bau kommt aus Indianerkreisen. „Obwohl die Goldsucher fort sind, sterben wir weiter an den neu eingeschleppten Krankheiten, gegen die wir keine Abwehrkräfte besitzen.“ Gemeint sind Masern, Grippe, Erkältung und vor allem Malaria. Sie hat es hier früher nicht gegeben.
   Die Schule wird geleitet von Ana, einer bewundernswerten Französin und Einzelkämpferin. Sie lebt schon vier Jahre dort (inzwischen ein halbes Leben) für quasi „Kost und Logis“. Sie spricht perfekt die Yanomamisprache. Sie lehrt die Indianer nicht nur Portugiesisch, sondern erstmals in derer Geschichte, die eigene Sprache in Buchstaben zu kleiden, zu schreiben, zu lesen. Bei Ana erfahren die Indianer erstmals, dass ihre Sprache kein „Affenquieken“ ist, wie die Goldsucher es nennen.
    Christina baut zwei weitere Krankenstationen. Eine davon in Venezuela. Dieser Prototyp wird von der Regierung für so gut befunden,  dass man ihn zwölffach nachbaut! Christina soll sogar Mitarbeiterin im Indianerministerium werden. Sie bevorzugt ihre Unabhängigkeit und lehnt ab. Stattdessen organisiert sie bereits ihr nächstes Projekt. Sie will mit eigenem Amazonas-Schiff, umfunktioniert zu einer fahrenden Krankenstation, sämtliche zu den Yanomami führenden Flüsse abfahren und die Yanomami medizinisch betreuen.
   Christina  avancierte damit zu einer wichtigen Vertrauensperson der Indianer. Sie wird Alarm schlagen, sobald die Goldsucher zurückkehren sollten.

9. Per Bambusfloß nach Washington
Bambussfloß

1992 feiert Amerika seinen 500. Geburtstag. Man will sich feiern als großartige Demokraten mit Riesenpartys und Riesenpressekonferenzen. Alles gigantisch. Vom gigantischen Ausmaß der Indianer-Vernichtung kein Wort. Das will ich ändern und stören. Zusammen mit Christina Haverkamp baue ich ein Bambusfloß mit Segel. Wir wollen von Senegal nach Brasilien damit. Die Medien sollen durch diese ungewöhnliche Aktion „unser“ Thema bekannt machen:.

Aufschrift auf dem Segel:
„500 Jahre Amerika. 500 Jahre Völkermord.
Landrechte für alle Indianer in Nord und Süd.
Rettet die Yanomami und ihre Regelnwälder!“ (Foto)

Als wir in Brasilien landen, entscheiden wir, weiter zu fahren. Durch die Karibik bis vors Weiße Haus in Washington. Die Aktion interessiert kaum jemanden. (Foto)
Buch „Über den Atlantik und durch den Dschungel“ (ISBN 3-492-21965-9)

10. Mit dem Baumstamm über den Atlantik

2000 segle ich ein drittes Mal über den großen Teich. Diesmal wieder allein, auf einer 18 Meter langen massiven Tanne, genannt THE TREE. Anlass: Brasilien begeht seinen 500. Geburtstag noch einmal extra. Das Land wurde acht Jahre nach Nordamerika entdeckt. Im Jahre 1500. Wieder sind große Veranstaltungen geplant. Die Völkermorde an den Ureinwohnern  werden ausgespart.  Segelaufschrift:

500 Jahre Brasilien.
Tausende  von Jahren indianische Kulturen.
Millionen von Jahren amazonischer Regenwald.

Zeit zu handeln!

Beschützt die eingeborenen Völker!
Respektiert ihre Landrechte!
Erhaltet den Regenwald!

Denn nur Vielfalt ist die Garantie für eine lebenswerte Zukunft

Atlantikueberquerung

Nach nur 43 Tagen komme ich in Fortaleza (Brasilien) an. Meine schnellste Überquerung.
Buch „Mit dem Baum über den Atlantik“ (ISBN 3-492-23607-3)

Zurück in Deutschland, steht  THE TREE zunächst auf der EXPO 2000
Heute steht er im Technik-Museum in Speyer.

 

 

11. Episoden
12. Frieden und neue Ziele
13. Die Waiapí-Indianer
Waiapi Indianer

2000. Ich bin mit dem Baumstamm „THE TREE“ in Brasilien gelandet. Zeitgleich erhalten die Yanomami endlich den wohlverdienten Frieden. 18 Jahre mit den verschiedensten Kampagnen liegen hinter mir. Die Gefahr, dass der Goldrausch sich wiederholen kann, ist grundsätzlich realistisch. Bevölkerungsdruck und Habgier bleiben die größte Bedrohung. Ich weiß die weitere Betreuung der Yanomami bei Christina Haverkamp in guten Händen..

Vielleicht gibt es ja auch noch eine Wende in ganz anderer Richtung. Vielleicht gelingt es der Weltgemeinschaft, solchen Ländern, die der Welt ihre Urwälder als Sauerstoffquell und Artenvielfalt-Garant erhalten, einen Ausgleich zu bieten. Naturerhalt gegen finanziellen Ausgleich. Vielleicht ist sogar der UN-Status „Welt-Ethnienerbe“ denkbar. Es wäre zu aller Nutzen.

Für mich ist mit dem Frieden für die Yanomami eine Lebensära abgeschlossen und der
Zeitpunkt gekommen, mich nach neuen Herausforderungen umzusehen.

Zusammen mit meiner Frau Annette Weber wird das zunächst die Betreuung eines anderen Volkes. Es sind die Waiapí im äußersten Nordosten Brasiliens, auf der Grenze zu Französisch-Guayana. Sie haben bereits ein Schutzgebiet, aber keine medizinische Versorgung. Gemeinsam bauen ihnen eine kleine Krankenstation, die von der brasilianischen Indianerbehörde FUNASA mit zwei Krankenpflegern versorgt wird .
     
Aber die größte Herausforderung wird eine ganz andere. Es ist das Drama „Weibliche Genitalverstümmelung“.

Alle Details dazu finden Sie auf einer eigenen Homepage:  www.target-humam-rights.com

Rüdiger Nehberg
2008

14. Nachwort
15. Vokabeln

Die Yanomami-Sprache ist nicht einheitlich, sondern gliedert sich in vier Hauptsprachen und viele Dialekte. Sie variieren von Dorf zu Dorf. Das kommt daher, dass die Yanomami infolge alter Feindschaften früher sehr isoliert gewohnt haben.
   Hier ein paar willkürlich ausgewählte Vokabeln, um einen Eindruck von der Andersartigkeit der Sprache zu vermitteln. Sie stammen von dem Sprachforscher Henri Ramirez. An ihm hat sich die Lehrerin Ana in unserer Schule am Rio Marauiá orientiert.

ja awei
nein ma
ich habe Durst ya amizi
ich habe Hunger ya ohi
ich habe Hunger auf Fleisch ya naiki
ich bin müde ya wazimi
so innaha
komm her! hapo
ich weiß nicht kui
warte! waiha!
noch ein, mehr ai
es ist wahr peheti
du lügst wa nasi
morgen henaha
morgens harika
nachts mi titi ha
geh voran! kuhami
geh als Erster! a ta pario
schnell rope
mir ist warm ya yopi
mir ist kalt ya saihi
ich bin faul ya mohi
es gibt a kua
es gibt nicht a ku (ta) ami
welch ein Lärm! a wa naki!
vorsicht! yimikata taiku
halt! mataru!
setz dich roiku
ich bin krank ya pei
gut totihiwe
schlecht waritiwe
genug kutaope
heute, jetzt kuike
pass auf! yure!
hier heyeha
dort kiha
was ist das? ezi kete?
Lass mich sehen! ya ta mipraa
alt hote
neu tute
Garderobe watota
Wald urihi
in Ordnung katehe
viele no motahawe
Angst haben kiri
süß ketetiwe
allein                                       iamí
Plantage                                 hikaritéka
alt rohóte
Baum híhi
Berg poróro
Blutrache noniú
dunkel mitíti
eins, 1 muhún
zwei, 2                              purakábe
Fisch marónha
Feuer oák
Fluss paraú
Frucht keté
Huhn Kakára

 

16. Lichtbild-Vorträge
Becher, Hans Poré Völkerkundemuseum Hannover
  Yanonámi Vandenhoeck & Ruprecht
  Die Suará und Pakidai Kommissionsverlag Cram, De Gruyter & Co
Biocca, Ettore Yanoama – Das Schicksal der Helana Valero Ullstein
Brög, Wolfgang Goldrausch in Amazonien ZDF-Reportage, käuflich, DVD, mail@irisfilm.de
Chagnon, Napoleon Die Yanomamö Byblos
Cocco, Luis Iyewei-teri Escuela Técnica Popular Don Bosco, Caracas
Eusebi, Luigi A barriga morreu Edicoes Loyola
Good, Kenneth Yarima Gustav Lübbe

Haverkamp,Christina
Außer mir bietet nur Christina Haverkamp einen authentischen Diavortrag über die Yanomami. Näheres: christinahaverkamp@web.de. Beachten Sie auch siehe auch den Warnhinweis am Ende dieser Liste!

Herzog, Gabriele Patanoetheri Klaus Renner
Konsalik, Heinz G Das Regenwald-Komplott, gut recherchierter Roman Goldmann
Mehrere Autoren Yanomami - Indianer Brasiliens im Kampf ums Überleben Pinguin
Nehberg, Rüdiger: Yanonámi- Überleben im Urwald Kabel, Piper
  Mit dem Tretboot über den Atlantik Kabel, Piper
Die letzte Jagd Kabel, Piper
Durch den Dschungel und über den Atlantik Kabel, Piper
Das Yanomami-Massaker Reise Know How
Die Rettung der Yanomami (identisch mit Massaker) Piper
Yanomami (ausgewählte Kapitel aus den oben stehenden Büchern Piper
Meine Lichtbildervorträge finden Sie unter „Aktuelles“ Beachten Sie auch den Warnhinweis am Ende dieser Liste!
17. Literaturhinweis, Filmhinweis
18. Warnhinweis

Wo es Erfolge gibt, gibt es sofort Trittbrettfahrer, Scharlatane, Betrüger und Hochstapler. Vor ihnen möchte ich warnen. Lesen Sie deutschsprachige Dia-Vortragsangebote zum Thema Yanomami im Internet deshalb sehr kritisch. Nur Christina Haverkamp und ich bieten authentische Vorträge an.  Im Zweifelsfalle erkundigen Sie sich bei uns.